Was macht man bei einer systemischen Therapie?

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Bei einer systemischen Therapie befassen Sie sich mit den Beziehungen und Wechselwirkungen in Ihrem sozialen Umfeld. Anders als bei traditionellen Therapieformen steht nicht das Individuum allein im Mittelpunkt, sondern Sie werden als Teil eines größeren Systems – sei es Familie, Partnerschaft oder berufliches Umfeld – betrachtet. Diese Herangehensweise ermöglicht es, Probleme und Herausforderungen aus einer ganzheitlichen Perspektive zu verstehen.

Die systemische Therapie basiert auf der Annahme, dass zwischenmenschliche Dynamiken oft größeren Einfluss auf Ihr Wohlbefinden haben als individuelle Faktoren. Durch diese therapeutische Methode können Sie neue Einsichten in wiederkehrende Verhaltensmuster gewinnen und alternative Lösungswege entdecken. Der Fokus liegt dabei auf Ihren Ressourcen und Stärken, die Sie zur Bewältigung von Konflikten und zur persönlichen Entwicklung nutzen können.

Die Grundlagen der systemischen Therapie verstehen

Die systemische Therapie entwickelte sich in den 1950er Jahren aus der Familientherapie und wurde maßgeblich von Pionieren wie Virginia Satir, Salvador Minuchin und dem Mailänder Team beeinflusst. Diese Therapeuten erkannten, dass psychische Probleme nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern oft im Kontext familiärer Interaktionsmuster entstehen. Im Laufe der Zeit erweiterte sich dieser Ansatz und bezog weitere soziale Systeme ein, in denen Sie sich als Mensch bewegen.

Das theoretische Fundament der systemischen Therapie beruht auf der Kybernetik zweiter Ordnung und dem Konstruktivismus. Dies bedeutet, dass Ihre subjektive Wahrnehmung der Realität im Mittelpunkt steht, nicht eine vermeintlich objektive Wahrheit. Die Therapie berücksichtigt, dass Sie Teil verschiedener sozialer Systeme sind, in denen Kommunikation und Beziehungsmuster Ihr Erleben und Verhalten prägen. Diese systemische Sichtweise eröffnet neue Perspektiven auf Probleme und deren Lösungen.

Das systemische Denken in der Psychotherapie

Das systemische Denken betrachtet Probleme nicht als isolierte Eigenschaften einer Person, sondern als Phänomene, die in Wechselwirkungen entstehen. Wenn Sie beispielsweise unter Konflikten am Arbeitsplatz leiden, konzentriert sich die systemische Betrachtung nicht allein auf Ihre Reaktionen, sondern untersucht das gesamte Beziehungsgeflecht. Diese Perspektive kann überraschende Einsichten liefern – etwa, wie Ihre Bemühungen, ein Problem zu lösen, es manchmal unbeabsichtigt aufrechterhalten.

Systemisches Denken ermöglicht es Ihnen, Kreisläufe zu erkennen, anstatt in linearen Ursache-Wirkungs-Ketten zu denken. So könnten Sie entdecken, dass Ihr Rückzug bei Konflikten zwar kurzfristig Spannungen vermeidet, langfristig aber zu mehr Missverständnissen führt. Diese zirkuläre Betrachtungsweise eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten, da Sie an verschiedenen Punkten des Systems Veränderungen anstoßen können.

Ablauf einer systemischen Therapiesitzung

Eine systemische Therapiesitzung dauert in der Regel zwischen 60 und 90 Minuten und beginnt häufig mit einer kurzen Bestandsaufnahme Ihrer aktuellen Situation. In der ersten Sitzung geht es primär darum, Ihr Anliegen zu verstehen und gemeinsam Ziele für die Therapie zu formulieren. Der Therapeut wird versuchen, einen Überblick über Ihr Beziehungssystem zu gewinnen und könnte Sie bitten, wichtige Personen und deren Beziehungen zueinander zu beschreiben. Diese Anfangsphase ist entscheidend, um den Kontext Ihres Anliegens zu erfassen.

In den folgenden Sitzungen werden verschiedene systemische Methoden eingesetzt, um neue Perspektiven zu eröffnen. Die Gespräche sind dabei oft dynamisch und folgen keinem starren Ablaufplan. Jede Sitzung baut auf den Erkenntnissen der vorherigen auf, wobei der Fokus stets auf Lösungsorientierung und Ressourcenaktivierung liegt. Der Therapeut wird regelmäßig den Therapieprozess mit Ihnen reflektieren und gegebenenfalls die Ziele anpassen. Die Anzahl der benötigten Sitzungen variiert individuell, tendenziell ist die systemische Therapie jedoch eher kurzzeittherapeutisch angelegt.

Die Rolle des Therapeuten in der systemischen Therapie

In der systemischen Therapie nimmt der Therapeut eine grundlegend andere Position ein als in klassischen Therapieformen. Er versteht sich nicht als Experte, der Lösungen vorgibt, sondern vielmehr als Prozessbegleiter, der durch gezielte Fragen und Interventionen neue Sichtweisen ermöglicht. Der Therapeut bleibt dabei in einer allparteilichen Haltung – er nimmt nicht Partei für einzelne Personen im System, sondern betrachtet alle Perspektiven als gleichwertig. Diese neutrale Position erlaubt es ihm, die Kommunikationsmuster objektiv zu beobachten und zu hinterfragen. Dabei schätzt er Ihre Kompetenzen und geht davon aus, dass Sie bereits alle Ressourcen zur Lösung Ihrer Probleme in sich tragen – seine Aufgabe ist es, Ihnen zu helfen, diese zu entdecken und zu aktivieren.

Methoden und Techniken der systemischen Therapie

In der systemischen Therapie kommen verschiedene spezifische Methoden zum Einsatz, die Ihnen helfen, eingefahrene Denkmuster zu durchbrechen und neue Perspektiven zu entwickeln. Diese Techniken ermöglichen es, verborgene Dynamiken in Ihren Beziehungssystemen sichtbar zu machen und alternative Handlungsmöglichkeiten zu erkennen.

  • Genogramm: Eine grafische Darstellung Ihres Familiensystems über mehrere Generationen hinweg. Dadurch werden Beziehungsmuster, Wiederholungen und Ressourcen sichtbar, die Sie sonst möglicherweise übersehen würden.
  • Reframing: Hierbei wird eine Situation oder ein Verhalten in einen neuen Rahmen gesetzt, der eine positive Bedeutung ermöglicht. Wenn Sie beispielsweise einen Jugendlichen als „rebellisch“ wahrnehmen, könnte dies umgedeutet werden als „stark im Ausdruck eigener Bedürfnisse“.
  • Skulpturarbeit: Sie stellen Beziehungen räumlich dar, indem Sie Personen im Raum positionieren. Diese körperliche Erfahrung macht emotionale Dynamiken unmittelbar spürbar und eröffnet neue Erkenntnisse.
  • Hypothetische Fragen: Fragen wie „Was wäre, wenn…?“ eröffnen neue Denkräume. Sie helfen Ihnen, festgefahrene Überzeugungen zu hinterfragen und mögliche Lösungswege zu erkunden.
  • Aufstellungsarbeit: Eine Methode, bei der Stellvertreter für Systemmitglieder positioniert werden, um verborgene Dynamiken sichtbar zu machen und neue Lösungsmöglichkeiten zu erkennen.
  • Ressourcenorientierte Fragen: Diese fokussieren auf Ihre Stärken und bisherigen Erfolge, um Lösungskompetenzen zu aktivieren, statt bei Problemen zu verharren.

Zirkuläres Fragen – Ein Kernwerkzeug

Das zirkuläre Fragen ist eine zentrale Technik der systemischen Therapie, bei der Sie über die Beziehungen und Sichtweisen anderer Personen nachdenken. Anstatt Sie direkt nach Ihren Gefühlen zu fragen, könnte der Therapeut beispielsweise fragen: „Was glauben Sie, wie Ihr Partner reagieren würde, wenn Sie mehr Zeit für sich beanspruchen würden?“ oder „Wie würde Ihre Mutter die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Bruder beschreiben?“ Diese Fragen ermöglichen es Ihnen, die eigene Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Der besondere Wert dieser Fragetechnik liegt darin, dass sie Ihnen hilft, eingefahrene Denkmuster zu verlassen und neue Perspektiven zu gewinnen. Wenn Sie überlegen, wie andere Personen eine Situation einschätzen würden, nehmen Sie automatisch eine Meta-Position ein. Diese Distanz zum eigenen Erleben kann überraschende Einsichten bringen und verborgene Zusammenhänge offenbaren. Zirkuläre Fragen machen deutlich, wie sehr Verhalten und Wahrnehmung von Beziehungen geprägt sind und erweitern so Ihren Handlungsspielraum.

Für wen ist systemische Therapie geeignet?

Die systemische Therapie eignet sich für ein breites Spektrum an Anliegen, da nahezu alle psychischen Herausforderungen in Beziehungskontexten entstehen oder sich dort auswirken. Besonders wirksam ist sie, wenn es darum geht, Interaktionsmuster zu verstehen und zu verändern.

  • Familiäre Konflikte: Wenn Kommunikation schwierig geworden ist, Rollen unklar sind oder bei Patchwork-Familien-Herausforderungen.
  • Partnerschaftsprobleme: Bei wiederkehrenden Streitmustern, Kommunikationsschwierigkeiten oder in Trennungssituationen.
  • Erziehungsfragen: Wenn Sie unsicher sind im Umgang mit Ihren Kindern oder wenn es Konflikte zwischen Geschwistern gibt.
  • Berufliche Herausforderungen: Bei Mobbing, Konflikten mit Kollegen oder Vorgesetzten oder bei Führungsproblemen.
  • Persönliche Entwicklung: Wenn Sie wiederkehrende Beziehungsmuster erkennen und verändern möchten.
  • Lebenskrisen und Übergänge: Bei einschneidenden Veränderungen wie Trennungen, beruflichen Neuorientierungen oder dem Auszug der Kinder.
  • Psychosomatische Beschwerden: Wenn körperliche Symptome im Zusammenhang mit Beziehungsstress auftreten.
  • Traumafolgestörungen: Besonders wenn diese die Beziehungsfähigkeit und Kommunikation beeinträchtigen.

Typische Ziele und Ergebnisse der systemischen Therapie

Die systemische Therapie zielt darauf ab, festgefahrene Interaktionsmuster zu erkennen und zu verändern, wodurch sich neue Lösungswege eröffnen. Ein wesentliches Ergebnis ist die verbesserte Kommunikation innerhalb Ihrer Beziehungssysteme – sei es in der Familie, Partnerschaft oder im beruflichen Umfeld. Sie lernen, Konflikte konstruktiver anzugehen und gegenseitige Bedürfnisse besser zu verstehen. Darüber hinaus entwickeln Sie ein tieferes Verständnis für die Dynamiken in Ihren Beziehungen und erkennen, wie sich Verhaltensweisen gegenseitig bedingen und verstärken können.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist die Erweiterung Ihrer Handlungsmöglichkeiten. Durch die systemische Perspektive gewinnen Sie Abstand zu festgefahrenen Problemen und können diese aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Dies führt oft zu überraschenden Einsichten und neuen Lösungsansätzen. Sie werden befähigt, eigene Ressourcen wiederzuentdecken und für Veränderungen zu nutzen. Viele Klienten berichten nach einer systemischen Therapie von einem gestärkten Selbstwertgefühl, größerer Selbstwirksamkeit und der Fähigkeit, auch zukünftige Herausforderungen eigenständiger bewältigen zu können.

Der Weg zur nachhaltigen Veränderung

Die nachhaltige Wirkung systemischer Therapie beruht darauf, dass nicht nur Symptome bekämpft, sondern grundlegende Muster verändert werden. Indem Sie die tieferen Strukturen Ihrer Beziehungsdynamiken erkennen und neue Verhaltensweisen erproben, entstehen langfristige Veränderungen. Dieser Prozess beginnt oft bereits nach wenigen Sitzungen, wenn erste Perspektivwechsel neue Handlungsoptionen eröffnen. Die vollständige Integration dieser Erkenntnisse in Ihren Alltag benötigt jedoch Zeit und kontinuierliche Übung.

Besonders wertvoll ist, dass die in der Therapie erlernten Denkweisen und Fragetechniken zu Werkzeugen werden, die Sie selbstständig anwenden können. So setzen Sie den therapeutischen Prozess eigenständig fort, auch nachdem die formellen Sitzungen abgeschlossen sind. Diese Selbstwirksamkeit verhindert Rückfälle in alte Muster und ermöglicht es Ihnen, auch bei zukünftigen Herausforderungen flexibel und lösungsorientiert zu reagieren. Die systemische Therapie gibt Ihnen somit nicht nur Lösungen für aktuelle Probleme, sondern ein neues Verständnis für die Dynamik menschlicher Beziehungen.

Systemische Therapie im Vergleich zu anderen Therapieformen

Jeder therapeutische Ansatz hat seine eigene Perspektive und Vorgehensweise. Die systemische Therapie unterscheidet sich von anderen Therapieformen vor allem durch ihren Fokus auf Beziehungen und Interaktionsmuster anstatt auf das Individuum allein.

  • Fokus auf Systeme vs. Individuum: Während die kognitive Verhaltenstherapie sich primär auf Ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen konzentriert, betrachtet die systemische Therapie Sie als Teil eines größeren Beziehungsgeflechts und analysiert Wechselwirkungen innerhalb dieses Systems.
  • Gegenwarts- und Lösungsorientierung: Im Gegensatz zur psychoanalytischen Therapie, die oft biografische Erfahrungen und unbewusste Konflikte erforscht, richtet die systemische Therapie den Blick stärker auf gegenwärtige Interaktionen und zukünftige Lösungen.
  • Ressourcenaktivierung statt Problemfokussierung: Die systemische Therapie legt besonderen Wert auf vorhandene Stärken und Ressourcen, während andere Ansätze mitunter stärker auf die Bearbeitung von Defiziten und Problemen ausgerichtet sind.
  • Kurzzeittherapeutischer Ansatz: Mit durchschnittlich 10-20 Sitzungen ist die systemische Therapie oft kürzer als tiefenpsychologische Verfahren, die sich über längere Zeiträume erstrecken können.
  • Neutralität des Therapeuten: Anders als bei manchen supportiven Therapieformen nimmt der systemische Therapeut eine ausgeprägt neutrale Position ein und versteht sich als Katalysator für Veränderungsprozesse, nicht als Ratgeber oder Experte für Lösungen.

Nächste Schritte: Wie Sie eine systemische Therapie beginnen können

Wenn Sie sich für eine systemische Therapie interessieren, beginnen Sie am besten mit der Suche nach qualifizierten Therapeuten. Achten Sie auf eine Zusatzqualifikation in systemischer Therapie oder Familientherapie, die von anerkannten Fachverbänden wie der Systemischen Gesellschaft (SG) oder der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) zertifiziert ist. Krankenkassen übernehmen die Kosten für systemische Therapie seit 2020 als anerkanntes Richtlinienverfahren. Für einen ersten Eindruck bieten viele Therapeuten ein kostenfreies Erstgespräch an, bei dem Sie prüfen können, ob die Chemie stimmt – ein wichtiger Faktor für den Therapieerfolg.

Zur Vorbereitung auf die erste Sitzung können Sie sich überlegen, welche konkreten Anliegen und Ziele Sie haben, müssen dies aber nicht detailliert ausformulieren. Der systemische Ansatz entwickelt die Zielvorstellungen oft gemeinsam im Therapieprozess. Hilfreich ist es, sich vorab Gedanken über Ihr Beziehungssystem zu machen: Welche Personen spielen in Bezug auf Ihr Anliegen eine wichtige Rolle? Wer könnte Sie im Veränderungsprozess unterstützen? Es kann auch sinnvoll sein, offen zu sein für die Möglichkeit, dass nahestehende Personen gelegentlich in die Therapie einbezogen werden, da dies die Wirksamkeit systemischer Interventionen erhöhen kann.

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